Auf dem Weg zu einem unserer Ortstermine bot sich uns vor wenigen Tagen ein Bild, das nachdenklich macht und die Verhältnismäßigkeit unserer Vorschriften im Bauwesen einmal wieder infrage stellt.
Folgende Situation: Eine im Sommer meist belebte Flaniermeile an einer ungesicherten Kaimauer. Kinder toben, Touristen schlendern, am Abend vielleicht auch der ein oder andere angetrunkene Passant. Die Kante ist scharf, vollkommen ungesichert und noch nicht einmal Schilder warnen vor dem einige Meter tiefen Sturz ins strömende Wasser. Rettungsringe oder -stangen gibt es nur alle paar hundert Meter und dann auch noch zu kurz. Objektiv eine hochgefährliche Situation, an der einem schon vom Hinsehen, zumindest direkt an der Kante, schwindelig werden kann. Dennoch scheint hier erstaunlich wenig zu passieren, denn diese Situation gibt es so oder so ähnlich an unzähligen Orten.
Dahingegen wird bei uns im Hochbau bereits ab 51 cm Höhendifferenz ein vollwertiges Geländer zur Absturzsicherung gefordert. Eine nur wenige Zentimeter zu niedrige Fensterbrüstung im Altbau erzwingt im Sanierungsfall meist eine teure absturzsichernde Verglasung der höchsten Kategorie A, die einen Pendelschlagversuch in voller Fallhöhe besteht. Nur so kann die geltende ASR eingehalten werden.
Diese Diskrepanz zwischen gelebter Realität an der Kaimauer und regulatorischer Strenge z.B. in Bürobauten ist frappierend.
Uns geht es nicht darum, Sicherheiten zu verringern, sondern um Verhältnismäßigkeit und reale Szenarien. Wir sind der Meinung, es brauch wieder deutlich mehr Pragmatismus und eine praxisbezogene Risikobewertung anstelle des Zwangs zur blinden Einhaltung starrer, teilweise absolut realitätsferner Anforderungen, die zwar keinen realen Mehrwert beim Schutzziel erzeugen, dafür aber gestalterische Freiheiten einschränken und das Budget spürbar belasten.
Denn die Kaimauer zeigt vor allem eines: Der Mensch besitzt offensichtlich einen sehr präsenten Selbsterhaltungstrieb und ist nicht darauf aus, grundlos abzustürzen.


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